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Ausbildungsmarketing für Mädchen: Perspektiven erweitern für Ausbildung in Handwerk & Co

Über 86.000 unbesetzte Ausbildungsstellen gab es im Jahr 2022 – Tendenz steigend. 20.000 – 25 % – davon alleine im Handwerk. Und ca. 50 % der Unternehmen beklagen, dass sie generell Schwierigkeiten haben, ihre freien Ausbildungsplätze zu besetzen. Der Fachkräftemangel ist längst nicht mehr ein Problem im Bereich der ausgebildeten Fachkräfte, sondern zeigt sich immer stärker auch im Bereich der Ausbildung. Eine Möglichkeit, eine größere Zielgruppe im Ausbildungsmarketing zu adressieren, liegt darin, die Ausbildung im Wording und in der Präsentation mehr auf Mädchen abzustimmen.

Das Problem: Mädchen haben oft kein Interesse (mehr) an „Männerberufen“

Eine Microsoft-Studie fand schon 2017 heraus, dass das Interesse von Mädchen an MINT-Berufen im Alter zwischen 11 und 16 Jahren am höchsten ist – danach verschwindet es und kommt auch nicht mehr wieder. In anderen Worten: nach dem 16. Lebensjahr ist der Zug für Unternehmen abgefahren, das volle Potenzial von Schulabgängern für die eigenen eher technischen oder naturwissenschaftlichen Ausbildungsgänge auszuschöpfen.

Ein weiteres Problem: Die handwerkliche Ausbildung – die neben technischen Berufen auch Berufe wie Bäcker*in, Tischler*in oder Gärtner*in umfasst – hat kein gutes Image. Viele Schulabgänger entscheiden sich nach wie vor lieber für ein Studium in dem Bereich, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Warum? Das Studium wird als hochwertiger eingestuft, die jungen Menschen versprechen sich davon bessere Karrierechancen und vielleicht auch einen besseren Status – als zukünftige Akademiker.

Noch bedenklicher ist es allerdings, dass über die Hälfte der Mädchen nach wie vor überwiegend aus 20 Berufen auswählt, während Jungs aus 100 Berufen auswählen. Die von Mädchen bevorzugten Berufe sind allen voran Medizinische Fachangestellte, Kauffrau für Büromanagement, Zahnmedizinische Fachangestellte, Kauffrau im Einzelhandel und Verkäuferin.

Quelle: https://www.girls-day.de/ueber-den-girls-day/statistiken-und-evaluation/statistiken-zur-studien-und-berufswahl/maedchen-schoepfen-berufsmoeglichkeiten-nicht-aus (22.04.2024)

Für Unternehmen sollte es deshalb nicht primär darum gehen, Mädchen in klassische Männerberufe zu „locken“, sondern grundsätzlich deren Blickwinkel auf die im Unternehmen und vor allem auch im Handwerk vorhandenen Berufswege und -möglichkeiten zu erweitern. Aufgabe und Ziel sollte es sein, Mädchen in dem, was sie interessiert und was sie gut können, frühzeitig zu bestärken und zu fördern.

Mädchen für Handwerk und MINT-Berufe begeistern: Zeitpunkt und Wording sind entscheidend

Um Mädchen für die klassischen Jungs-Berufe zu begeistern, brauchen Unternehmen vor allem zwei Dinge:

1. Das richtige Timing

    Das richtige Timing deshalb, weil – wie oben beschrieben – das weibliche Interesse an Handwerk, Technik und Naturwissenschaften ab dem Alter von 16 Jahren schwindet. Das bedeutet für die Unternehmen: Werdet vorher aktiv! Seid sichtbar auf Social Media, bietet Aktionen/Workshops/Girl’s Days/Themenwochen etc. für Mädchen an und geht auf jeden Fall in die Kommunikation.

    Unternehmen, die es schaffen, interessierte Mädchen frühzeitig – noch während der Schulzeit – für sich zu begeistern, können dieses Interesse bestärken. Sie können im Gespräch herausfinden, wo die jeweilige Schülerin sich zukünftig sieht und welche Fähigkeiten und Interessen sie ausbauen möchte. Dann kann auch gezielt auch auf Ausbildungsgänge hingewiesen werden. Das alles macht aber nur Sinn, solange überhaupt noch das ursprüngliche Interesse an den MINT- oder Handwerks-Themen vorhanden ist. Deshalb sollten Unternehmen zukunftsorientiert denken und jetzt bereits etwas dafür tun, dass Ausbildungsplätze in den kommenden Jahren sowohl mit Jungen als auch mit Mädchen besetzt werden können.

    Mädchen, die kein Abitur machen, sondern direkt aus der Haupt- oder Realschule in eine Ausbildung übergehen, sind beim Schulabschluss noch in der Altersspanne, die für Unternehmen optimal ist. Bei Abiturientinnen müssen sie jedoch schon vor dem Schulabschluss aktiv werden, um mögliche technische und handwerkliche Interessen zu fördern und den Blickwinkel auf ihre Ausbildungsangebote zu lenken!

    2. Das richtige Wording

      Man hat herausgefunden, dass Jungen und Mädchen durchaus innerhalb des gleichen Bereiches unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Mädchen schauen eher danach, wo sie sich kreativ und sozial verwirklichen können – und sie suchen eher nach einer sinnhaften Tätigkeit als Jungen. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen sich vorab Gedanken über die Zielgruppe Mädchen machen und diese dann explizit in ihren Bedürfnissen adressieren. So können auch handwerkliche Berufe einen kreativen Anteil haben – man denke an den Tischler-Beruf – oder einen übergeordneten höheren Sinn, beispielsweise in der IT oder der technischen Entwicklung.

      Eine sogenannte Persona für die Zielgruppe Auszubildende zu erstellen, ist an dieser Stelle absolut empfehlenswert. Mit einer konkreten Vorstellung davon, wen das Unternehmen da eigentlich ansprechen möchte, lässt sich auch das Wording – d. h. die ausgewählten Formulierungen, sprachlichen Bilder und Schwerpunkte – einfach anpassen. Das richtige Wording betont dabei auch die weichen Faktoren, die eine handwerkliche Ausbildung mit sich bringt. Sei das Kreativität, ein Beitrag zum Zukunfts-Thema KI oder schlicht die Systemrelevanz des Berufs. Diese sprachliche Neuausrichtung hilft dabei, dass Mädchen, die sich über Ausbildungsgänge informieren, sich leichter mit diesen identifizieren können und diese damit auch ernsthafter in Betracht ziehen.

      Ist diese Hürde genommen, braucht es in den Unternehmen noch passende Ansprechpartner*innen und Vorbilder, die die Mädchen zusätzlich begeistern, beraten und begleiten können.

      Perspektive auf dem Ausbildungsmarkt für Mädchen erweitern

      Mädchen wollen sinnvolles tun und sich selbst verwirklichen – genau wie die Jungen. Dass das auch außerhalb des Gesundheits- oder Büroumfeldes geht, und zwar ziemlich gut und aussichtsreich – dafür müssen die Mädchen vermehrt sensibilisiert werden. In Zeiten des Fachkräftemangels können Unternehmen unter anderem damit Punkten, dass sie transparent darstellen, welche Karrierepfade Mädchen in dem jeweiligen Beruf gehen können: Da gibt es den klassische Weg über Gesell*in und Meister*in oder auch die fachlich sehr gut angesehenen Weiterbildungen zur Technikerin etc. Perspektiven schaffen – und zeigen, was das Handwerk Tolles zu bieten hat, das muss die Devise von Ausbildungsbetrieben sein.

      Auch Unternehmen, die nicht nur oder überwiegend MINT- und Handwerks-Berufe zu besetzen haben, sollten sich darum bemühen, in ihrer Außenkommunikation neue Perspektiven für Mädchen zu schaffen. Perspektiven, die über die klassischen 10 Mädchen-Berufe hinausgehen. Nicht jeder der übrigen zahlreichen Berufe ist traditionell ein Männer-Beruf – Konditor*in oder Bäcker*in zum Beispiel, oder auch Goldschmied*in und Instrumentenbauer*in. Aber auch Ausbildungsberufe wie Medienkaufmann/-frau andere eher kaufmännische oder kreative Berufe sollten vermehrt vermarktet werden – einfach, um den Blickwinkel der Mädchen zu erweitern. Und um zugleich als Unternehmen und Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, dass seine Auszubildenden je nach Fähigkeiten und Neigungen fördert, ohne dabei geschlechtsspezifische Vorurteile zu haben oder Kategorisierungen vorzunehmen.

      Ausbildungsmarketing spielt auch ins Employer Branding hinein

      Denn bei der Bewerbung der eigenen Ausbildungsberufe geht es für Unternehmen um mehr, als schlicht die Stellen zu besetzen: Es geht auch darum, sich in der Region oder gar überregional als attraktiver Arbeitgeber darzustellen, bei dem sowohl Frauen als auch Männer gerechte Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten erhalten. Dabei ist es sogar zweitrangig, ob diese Männer und Frauen gerade am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen oder schon mehrere Jahre Erfahrung mitbringen – der Kampf um die besten Fachkräfte wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Deshalb müssen Unternehmen JETZT die richtigen Weichen setzen – und sich auch besonders um die Frauen und Mädchen bemühen. Für Unternehmen, die das Thema heute nicht erst nehmen, sieht es in ein paar Jahren sehr düster aus. Das heißt: female Empowerment und Mädchen-Empowerment schon in der Ausbildungszeit (und davor!) ist kein soziales Projekt, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern!

      Präsentation der Karrierewebsite und der PR neu ausrichten

      Unternehmen, die unterschiedliche Ausbildungsplätze oder auch duale Studiengänge zu vergeben haben, sind daher herausgefordert, ihre Präsentation zu überdenken und am Wording zu arbeiten. Durch gezielte Aktionen oder beispielsweise auf Ausbildungsmessen etc. können neben den beliebten auch die unbekannteren Berufe vorgestellt werden.

      Eine Maßnahme ist zum Beispiel, bei den Anforderungen an Bewerber*innen nicht den Punkt „Interesse an Technik“ ganz nach oben zu stellen, sondern weichere Faktoren zuerst zu nennen, wie z. B. „Spaß an kreativer Problemlösung“ oder „ein gutes Auge für Farben und Formen“ – je nach dem, was der Ausbildungsgang hergibt.

      Auf der Karriere-Website und in den Broschüren können die Beschreibungen entsprechend angepasst und auf die weibliche Zielgruppe zugeschnitten werden. Wichtig ist zudem, wie bereits erwähnt, die Weiterentwicklungsmöglichkeiten für jeden Ausbildungsgang klar herauszustellen: Auch Mädchen wollen Karriere machen und von ihrem Beruf gut leben können! Wenn sich beispielsweise Abiturient*innen gegen ein Studium und für eine Ausbildung entscheiden, wollen sie in der Regel wissen, welche Möglichkeiten sie auch in Zukunft mit dieser Ausbildung haben und wo die Reise hingehen kann.

      Abschließende Tipps, um Mädchen für eine breitere Auswahl an Ausbildungsgängen zu begeistern:

      • Zielgruppe definieren: Was für Schüler*innen sind für das Unternehmen generell interessant?
      • Timing beachten: Für MINT-Berufe rechtzeitig Maßnahmen ergreifen und Schüler*innen frühzeitig begeistern sowie Interesse am Unternehmen wecken
      • Wording generell überarbeiten (nicht nur in den klassischen Männer-Berufen): Weg von den klassischen Berufsbeschreibungen, die eher männliche Sprache und männliche Fähigkeiten hervorheben. Mehr auch die weiblichen Fähigkeiten, die es für den jeweiligen Beruf braucht, herausstellen.
      • Positive Berührungspunkte und Vorbilder schaffen – auch mit Bildern von Mädchen/Frauen in den Ausbildungsbroschüren und auf der Website

      Quellen und weiterführende Links:

      Bundesministerium für Bildung und Forschung – Berufsbildungsbericht 2023: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/berufsbildungsbericht-2023-kabinettfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=2

      girlsatec – Junge Frauen für gewerblich-technische Berufe gewinnen: Gezieltes Ausbildungsmarketing für Unternehmen: https://www.girlsatec.de/wp-content/uploads/2021/02/Brosch_Ausbildungsmarketing_A5_221.pdf

      Handelsblatt: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/fachkraeftemangel-20000-lehrstellen-unbesetzt-handwerk-fordert-bildungswende/100019100.html

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