Der Spagat zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen der Familie ist für uns Mütter nicht immer leicht. Viele von uns neigen dazu, altruistisch zu handeln und uns völlig auf unsere Kinder zu konzentrieren. Und natürlich stehen die Kinder für uns an erster Stelle. Aber ist es gut, wenn Kinder die Erfahrung machen, dass nur sie zählen und Mama gar kein eigenes Leben hat? Wohin führt das?
Altruismus und Frustration – ein unglückliches Paar
Wenn ein Baby in unser Leben tritt, ist das – meiner Meinung und Erfahrung nach – die größte Veränderung, die Frauen in ihrem Leben erfahren können. Alles ändert sich. Über Nacht. Plötzlich ist da dieses kleine Wesen, das uns braucht. Das versorgt und geliebt werden will. Und wir Eltern geben diese Liebe und diese Fürsorge bereitwillig. Besonders in den ersten Monaten – wenn nicht in den ersten Jahren – ist das Baby der Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit. Eine gute Portion Altruismus wird uns abverlangt. Wir leben wie in einem Kokon. Unser altes Leben ist passé. Im Idealfall können wir als Mama und als Familie diesen neuen Lebensabschnitt auch genießen.
Doch umso älter unser Kind wird, umso mehr sind wir gefordert, zu reflektieren und das Gleichgewicht in der Familie aufrechtzuerhalten. Denn das System Familie funktioniert auf Dauer nur, wenn alle Familienmitglieder ihre Bedürfnisse in gewissem Maße stillen können, also auch Mama und Papa. Für uns Mütter kann es schwer sein – und manchmal verpassen wir den Punkt – vom völligen Altruismus wieder in einen angemessenen und gesunden Egoismus zu kommen – und zwar im Sinne der Selbstfürsorge.
Wenn das passiert, frustrieren wir irgendwann. Vielleicht kommen wir an den Punkt, an dem wir uns selbst fremd geworden sind. An dem wir das Gefühl haben, nur noch Mama zu sein, den Rest unserer Persönlichkeit gleichermaßen bei der Geburt des Kindes abgegeben zu haben.
Wir werden unzufrieden. Wir kommen aus dem Gleichgewicht.
Und das spürt unser Umfeld und besonders unsere Kinder. Denn an diesem Punkt können wir nicht mehr so mitfühlend, geduldig und liebevoll sein, wie wir das eigentlich wollen. Dann meldet sich das schlechte Gewissen – eine Abwärtsspirale, die wir dringend durchbrechen müssen.
Was wollen wir wirklich? Werte definieren und leben
Wie schaffen wir es, unsere Mutterschaft wieder mehr als das zu empfinden, was sie eigentlich ist: ein Geschenk? Wie schaffen wir es, unseren Kindern ein gutes Vorbild zu sein und unser Familienleben so zu gestalten, dass wir alle zufrieden sein können?
Zuerst einmal müssen wir uns Freiräume schaffen. Zeit für uns, um zu reflektieren.
Darüber, was vielleicht falsch gelaufen ist.
Was uns dazu gebracht hat, unsere eigenen Bedürfnisse so sehr zurückzustellen.
Und vor allem darüber, was uns ausmacht und wer wir sind.
Regelmäßige Freiräume, in denen wir etwas für uns tun, können unheimlich viel bewirken.
Wir sollten auch darüber nachdenken, wie wir uns unsere Mutterrolle eigentlich vorstellen, wie wir uns das Zusammensein mit den Kindern, mit dem Partner und als Familie vorstellen. Darüber, warum wir durchaus mutig sein und uns auch als Mütter emanzipieren sollten, habe ich bereits geschrieben.
Was sind unsere Werte als Mutter und als Frau? Und leben wir danach?
Was können/müssen wir ändern, damit wir unsere Bedürfnisse und Werte authentischer ausdrücken können?

Indem wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, finden wir nicht nur in uns wieder mehr Frieden, sondern leben unseren Kindern auch etwas Wichtiges vor: Dass man sich immer wieder neu ausrichten und immer wieder neu für sich sorgen kann. Und dass es jedem Einzelnen nur so gut gehen kann wie der Gemeinschaft, in der wir leben.
Kooperation in der Familie: Wie wir Freiräume ohne schlechtes Gewissen schaffen
Dass Selbstfürsorge essenziell ist, hatte ich bereits mehrfach betont. Dennoch will ich das Thema noch mal aus einer anderen Sicht beleuchten: Wir sind das Vorbild für unsere Kinder. Sie ahmen uns nach und lernen von uns. Sie entwickeln durch unsere Interaktionen und unser Feedback ihr eigenes Selbstbild.
Deshalb lernen sie auch von uns, dass es wichtig ist, etwas für sich selbst zu tun und sich Auszeiten zu nehmen. Sie lernen von uns, dass „Mama braucht Zeit für sich“ nicht bedeutet „Mama hat mich nicht lieb.“ Das ist eine unheimlich wichtige und wertvolle Einsicht für sie.
Sie ermöglicht es den Kindern auch, damit klarzukommen, wenn Mama mal gerade wirklich nicht mehr kann und eine Pause braucht, oder wenn Mama nach Abwägung aller Bedürfnisse entschieden hat, dass ausnahmsweise mal ihr Bedürfnis nach Ruhe/Ordnung/frischer Luft/einer Tasse Kaffee gerade wichtiger ist.
Das bedeutet nicht, dass das zur Regel werden soll. Natürlich haben die Kinder oft unsere volle Aufmerksamkeit – und wenn wir wollen, dass sie mit uns kooperieren, müssen wir das auch in die umgekehrte Richtung tun; also mitspielen und die Bedürfnisse der Kinder erfüllen. Wenn wir das machen und die Kinder quasi einen vollen Seelentank haben, spricht absolut nichts dagegen, hin und wieder Auszeiten für uns zu schaffen oder uns Zeit für das zu nehmen, was wir gerade gerne machen möchten.
Wir Mütter können die Dynamik im Alltag in der Regel gut einschätzen und den geeigneten Zeitpunkt finden, an dem „Mama macht jetzt mal XY, ihr könnt mir helfen“ oder „Mama will sich mal kurz ausruhen“ kein Problem für die Kinder ist. Und dann müssen wir auch kein schlechtes Gewissen haben, weil wir mal kurz an unsere eigenen Bedürfnisse gedacht haben.
Gesunder Egoismus und die Freude der Kinder am Dabeisein
Im Gegenteil: Wenn wir als Mütter auch unser eigenes Leben führen – natürlich anders als vorher und oft sind die Kinder dabei – dann lernen sie, am Leben anderer Menschen teilzuhaben. Sich einzubringen. Empathie zu zeigen.
Was meine ich mit „eigenes Leben“? Dass wir Dinge tun, die uns Spaß machen. Dass wir so weit wie möglich unseren Hobbys nachgehen oder Dinge unternehmen, die uns interessieren. Ob das ist, einen tollen Garten anzulegen, Museen zu besuchen, zu meditieren – was auch immer – eins ist sicher: Die Kinder wollen dabei sein. Sie wollen am Leben von uns Erwachsenen teilnehmen und nicht immer nur „Kind“ sein. Sie wollen helfen und lernen.
Wir können sie einbeziehen, indem wir erklären und sie einfach dabei sein lassen. Allein die leuchtenden Kinderaugen zu sehen, wenn wir z. B. Möbel aufbauen, kochen oder gärtnern und die Kinder dabei helfen dürfen. Und sie lernen dadurch so viel!
Ich bin überzeugt davon, dass Kinder davon viel mehr haben, als wenn wir uns immer völlig hinten anstellen. Sie werden uns zuverlässig Feedback geben, ob und wann sie damit überfordert sind oder wenn sie keine Lust haben auf „Mamas/Papas Sachen“. So kommen wir zu einer Familiendynamik, in der jeder seinen Platz hat. Und in der alle Familienmitglieder zufrieden sein können.
Oder noch mal anders: Wir wollen unser Kind so gut wie möglich kennenlernen. Aber wenn wir nicht auch für uns selbst sorgen und dafür, dass auch Platz für Mamas Bedürfnisse ist, nehmen wir den Kindern gleichzeitig die Möglichkeit, uns kennenzulernen. Was wollen wir sein?
Für mich steht fest: Ich will eine Mama sein, die von ihren Kindern mit allen Stärken und Schwächen, als Mensch mit Wünschen und Bedürfnissen wahrgenommen wird und die trotzdem – oder gerade deswegen – alles für ihre Kinder tut. Ein echter Mensch eben – nicht jemand, der wie ein Automat funktioniert und den Kindern deshalb kein authentisches Feedback geben kann.